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Fundstück des Tages # 161 [Red Bull Leipzig, Blick ins Disneyland]

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  In loser Folge dokumentiert ostfussball.com in dieser Rubrik mehr oder weniger (ost)fußballtangierende Kostbarkeiten der deutschen Schriftsprache – unkommentiert, da die Fundstücke zumeist schon einiges postulieren und dabei zuweilen gleichfalls nur einfach ihrerseits irgendwie selbst vor sich hin sprechen, mitunter auch scheinbar in Ergänzung vormalig bezüglicher Publikationen bei ostfussball.com

Faksimile: fr-online.de

(…) Der Mateschitz-Klub RasenBallsport Leipzig ist im Schockzustand. Red-Bull-Fußballchef Dietmar Beiersdorfer ist Geschichte. Und nun soll Peter Pacult als neuer Trainer kommen. Ein Lokalaugenschein im Fußball-Disneyland.

“Es hat eingeschlagen wie eine Bombe.” Die Worte von Tomas Oral lassen nichts an Deutlichkeit vermissen. Der Trainer der deutschen Red-Bull-Fußballfiliale RasenBallsport Leipzig wurde vom großen Knall, den die Abberufung von Fußballboss Dietmar Beiersdorfer bedeutete, ebenso überrascht wie alle anderen Beteiligten. Seither befindet sich der Viertligist in Schockstarre. Die Welt von Red Bull, die sonst überall penetrant nach Aufmerksamkeit buhlt, sie wäre in diesen Tagen am liebsten ein hermetisch abgeschlossenes Universum. Niemand weiß in Leipzig, wie es nun weitergehen soll. Nach bestem Mikado-Prinzip versucht man, sich jetzt so wenig wie möglich zu bewegen (…) Zu der Zukunft einzelner Personen, auf die man in Leipzig ebenso begeistert reagiert wie auf den Namen Peter Pacult, gibt es immer die gleiche Antwort: “Wir wissen auch nicht, wie es weitergeht. Wir machen im Moment einfach weiter wie bisher.” (…)

Die plötzlich eingetretene “Stunde null” im Fußballkosmos von Red Bull hat in Leipzig tiefe Spuren hinterlassen. Schließlich soll hier der europäische Spitzenklub des Konzerns entstehen und in letzter Konsequenz den Salzburger Bruderverein zum Farmteam degradieren (…) Elf Punkte Rückstand auf Spitzenreiter Chemnitz bei sieben ausstehenden Runden sind trotz einer Schwächephase des Tabellenführers ein zu großer Rückstand. Für die erfolgsverwöhnten Leipziger gibt es ein Nachsitzen in der Regionalliga Nord. Damit ist wenigstens eine Frage beantwortet: Der Vertrag von Oral verlängert sich nur im Aufstiegsfall automatisch, der Abschied des Trainers im Sommer ist ein offenes Geheimnis. Allerorten rechnet man hier fest mit der Ankunft von Ex-Rapid-Coach Peter Pacult. Sollte der Wiener nach Leipzig kommen, wird er sich wohl mit der starken Persönlichkeit von Thomas Linke zusammenraufen müssen. Dem ehemaligen Salzburger werden gute Chancen auf einen Weiterverbleib eingeräumt, Linke selbst brüstet sich in Interviews offensiv mit der Unterstützung von Boss Dietrich Mateschitz. Peter Pacult kennt er nicht persönlich (…)

(…) In wechselnder Abfolge werden die zahlreichen Versuche abgeblockt, aus den Verantwortlichen Antworten über die Zukunft herauszukitzeln. Plötzlich herrscht Unruhe unter den Besuchern. In Salzburg wurde überraschend eine außerordentliche Pressekonferenz einberufen. Obwohl schnell Entwarnung kommt, ist eindeutig: Nachrichten aus der Red-Bull-Zentrale lassen den Puls in ungesunde Höhen steigen, in der unsicheren Lage muss jederzeit mit weiteren Knalleffekten gerechnet werden. Sonst bleibt den lokalen Medien nicht viel zu tun: In der Causa prima um Peter Pacult gibt es seit Tagen keine neuen Entwicklungen (…) Bleibt nur noch das Rätselraten über den Grund des Kahlschlags. Bisher war die Amtszeit von Dietmar Beiersdorfer positiv verlaufen. Die jetzige Ehrenrunde in der Regionalliga war der erste Rückschlag in der Erfolgsgeschichte von RB Leipzig (…)

Begonnen hat sie mit zwei Glücksfällen: zum einen für den Getränkekonzern, zum anderen aber auch für Leipzig. Red Bull hatte die seltene Gelegenheit, ein leer stehendes WM-Stadion übernehmen zu können. Bei der Stadt, die sich gern als Nabel des deutschen Fußballs sieht – mit Genuss weist man darauf hin, dass der DFB 1900 hier gegründet wurde und der VfB Leipzig 1903 erster deutscher Meister war – rannte man offene Türen ein. “Wir unterstützen Red Bull so gut es geht”, heißt es noch heute im Rathaus. “Der Oberbürgermeister spricht von einem Geschenk, wenn er zur Bedeutung von RB Leipzig gefragt wird. Das sagt eigentlich alles”, schildert Sportdirektor Linke. Gegen das riesige 30 Millionen Euro teure Trainingszentrum, das derzeit gegenüber des Zentralstadions errichtet wird, gab es keine nennenswerten Widerstände. Dem österreichischen Getränkekonzern traut man einen langen Atem zu – trotz schlechter Erfahrungen. Schon oft hatten Sponsoren versucht, die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf wachzuküssen. “Entweder es war Geld da oder fähige Leute – beides zusammen gab es leider nicht”, meint ein Kenner. Die Folge: Die beiden Traditionsklubs der Stadt, Sachsen Leipzig und Lokomotive Leipzig, dümpelten zur Zeit des Red-Bull-Einstiegs – wie auch heute – in der fünften Liga herum. Die beiden Vereine fielen fast ausschließlich durch ständige Finanzprobleme und gewaltbereite Fangruppen auf. Platzstürme und straßenschlachtartige Szenen waren gang und gäbe (…)

Red Bull bot sich so eine große Marktlücke beim Fanpotenzial. Lust auf den lang ersehnten Spitzenfußball und die Gewaltorgien der beiden Leipziger Vereine trieben Scharen von Fans in die Arme von RB Leipzig (…) Derzeit sind nur die Spieler und einige VIPs offizielle Mitglieder. Böse Zungen behaupten, dass sich Red Bull nicht mit aufsässigen Fans herumschlagen will (…)

Zu den Heimspielen kommen bei Schlagern über 10.000 Fans in die Red-Bull-Arena mit ihren über 44.000 Plätzen. Auswärts gibt es noch Nachholbedarf: Das entscheidende Spiel in Wolfsburg fand vor gerade einmal 270 Zuschauern statt. Ein Showprogramm wie in Salzburg gibt es hier bei Heimspielen nicht. Überhaupt ist Red Bull im ehemaligen Zentralstadion unauffällig. Die Sitzreihen erstrahlen in Blau und Grün, der Mannschaftsbus in der Garage und ein unscheinbares Schild sind die einzigen Anzeichen für die Herrschaft des Getränkekonzerns. Ab dem Sommer soll aber gezeigt werden, wer hier das Sagen hat: Mehr Logos sollen kommen, mittelfristig werden die Sitzreihen in Rot-Weiß-Blau leuchten. Dann wird auch in Leipzig das normale Red-Bull-Flair einziehen – unter welchem Trainer auch immer.

Faksimile: glassblog.wordpress.com

[Quelle im vollständigen Original -> “RB Leipzig: Wie ein Bulle vor dem neuen Stalltor”, diepresse.com, 16. April 2011, 18:02]


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